Seit 1981 schreibe ich nun über Uhren und jene Industrie, welche diese produziert. In den zurückliegenden 33 Jahren habe ich natürlich auch verschiedene Krisen erlebt. Die heutige Entscheidung der Schweizer Nationalbank (SNB), den Mindestkurs des Schweizerfranken zum schwächelnden Euro aufzuheben (1,20 CHF pro Euro) , könnte einmal mehr zu heftigen Turbulenzen führen. Immerhin kämpft die Uhrenindustrie gegenwärtig auch mit dem freien Fall des russischen Rubel. A. Lange & Söhne hatte, wie mir CEO Wilhelm Schmid heute am Telefon erklärte, die erst 2014 eröffnete Markenboutique in Moskau deswegen einen ganzen Tag lang geschlossen.
Wilhelm Schmid, CEO von A. Lange & Söhne
Aktuell wird der Wechselkurs, zu dem das Geschäft Rubel entgegen nimmt, jeden Tag neu festgesetzt. Andere Marken agieren logischer Weise ähnlich. Dass sich die Probleme in Russland negativ auf den Umsatz auswirken, ist denn auch vollkommen nachvollziehbar. Die aktuellen Geschehnisse in der Schweiz tangieren die deutschen Uhrenmarken, welche in Euro fakturieren, hingegen nur dann, wenn sie fortan zwangsläufig teurer werdende Komponenten aus der Eidgenossenschaft beziehen.
Nun überrollt die Uhrenfabrikanten also auch noch das Desaster mit einem gegenüber dem Euro zeitweise bis zu 30 Prozent dramatisch aufgewerteten Schweizerfranken. Kommentar des eloquenten und wortgewaltigen Swatch Group-Boss Nick Hayek: „Es fehlen einem die Worte. Jordan ist ja nicht nur der Name des SNB Präsidenten, sondern auch ein Fluss und was die SNB da veranstaltet, ist ein Tsunami. Sowohl für die Exportindustrie wie auch für den Tourismus und schlussendlich für die ganze Schweiz.“
G. Nicolas “Nick” Hayek - CEO der Swatch Group
Entsprechend dramatisch fielen die Kursverluste an den Schweizer Börsen aus. Die Swatch Group büßte 15 Prozent, der Richemont-Konzern zeitweise sogar mehr als 16 Prozent ein. Kein Wunder, dass Richemont-Chairman und Hauptaktionär Johann Rupert, wie mir ein Insider berichtete, seine CEOs für morgen zu einer Krisensitzung einberufen hat. Angesichts des bevorstehenden SIHH war das eines Tages durchaus zu erwartende Ende der Euro-Stützungskäufe durch die SNB ein echter Schock. Soweit ich in Erfahrung bringen konnte, werden die Richemont-Marken während des Genfer Uhrensalon keine festen Preislisten für die neuen Produkte herausgeben. Diese Devise macht absolut Sinn. Ob die internationalen und speziell auch in Euro zahlenden Konzessionäre angesichts dieser Tatsache während des SIHH in großem Stil Luxusuhren ordern, wage ich allerdings ein wenig zu bezweifeln. Immerhin lässt das Geschäft mit chinesischen Touristen in den europäischen Metropolen gegenwärtig ja ebenfalls zu wünschen übrig.
Soeben bekam ich auch noch Jean-Claude Biver als Telefon.
Jean-Claude Biver
Der Verantwortliche für die drei LVMH-Uhrenmarken Hublot, TAG Heuer und Zenith warnt dringend davor, jetzt in Panik zu verfallen. “Der SNB kann doch nicht daran gelegen sein, die Schweizer Industrie kaputt zu machen. Die werden sich bei ihrem Handeln schon etwas gedacht haben. Ich sehe in allem Schlechten, das tatsächlich in dieser Aufwertung des Schweizerfrankens steckt, auch etwas Positives. Mein Kautschukbänder aus Italien werden beispielsweise um 20 Prozent billiger. Wir müssen jetzt Kreativität beweisen und das Beste aus dieser Sache machen.”
Zur Kompensation des Wechselkurs-Defizits gegenüber dem Euro gibt es kein Patentrezept. Der Handlungsspielraum ist sehr begrenzt. Man kann es auch so formulieren: Die Branche hat letztendlich nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Entweder Senkung der Exportpreise in die Eurozone, damit die Uhren dort nicht teurer werden, was einen Verlust an Marge bedeutet. Oder die Importeure, egal, ob es sich um eigene Töchter handelt oder um freie Agenten, heben die Publikumspreise zur Beibehaltung ihrer Marge entsprechend an, was sich im Ausbleiben des einen oder anderen Kunden niederschlagen dürfte. Weh tut beides.
Freuen können sich hingegen die Grenzgänger, welche in Schweizerfranken entlohnt werden, aber im Euroland wohnen, und die Zeitgenossen mit gut gefüllten Bankkonten in der Schweiz. Sie alle wurden durch den zur Vermeidung von Spekulation absolut unverhofften Schritt der SNB quasi über Nacht reicher.
Glücklich schätzt sich auch Bernhard Stoll von Juwelier Wempe mit Blick auf die Kollektion eigener Uhren.
Bernhard Stoll verantwortet das gesamte Uhrensegment bei Juwelier Wempe
Egal ob Wempe Zeitmeister oder Chronometerwerke: Durch die verpflichtende Abnahme von Mindestmengen an Komponenten oder Uhrwerke eidgenössischer Provenienz verfügt das Unternehmen über ein reichhaltiges Warenlager, das jetzt nach und nach abgearbeitet werden kann. „Unsere Preise werden wir nicht erhöhen müssen.“, teilte mir Bernhard am Telefon mit. Ganz abgesehen davon hat Wempe die Wechselkurse zwischen Euro und Schweizerfranken durch gezieltes Hedging in gewissem Umfang abgesichert.
Das, und hier sehe ich abschließend einen gewissen Lichtblick, dürfte auch auf die großen Gruppen und Familienunternehmen zutreffen. Hedging kostet zwar viel Geld, bietet aber auch Planungssicherheit über ein bis zwei Jahre hinweg. Vielleicht wird am Ende die Suppe dann doch nicht ganz so heiß gegessen, wie sie augenblicklich gekocht wird.