Wer sich mit der Vergangenheit des Hauses Oris beschäftigt, stößt zunächst einmal auf eine Vorgeschichte. 1902 die Firma Lohner und Nägelin in der strukturschwachen, südöstlich von Basel gelegenen Gemeinde Hölstein, mit einer Uhrenfertigung. Erhebliche Zahlungsschwierigkeiten führten schon zwei Jahre später zur Einstellung der geschäftlichen Aktivitäten. Nun waren die Herren Paul Cattin und Georges Christian am Zug. Unter ihrer Ägide marschierte das, was ab 1904 wie das nahe gelegene Flüsschen Oris hieß, in eine erfolgreiche Zukunft.
Oris ab 1904
1910 beschäftigte Oris schon 300 Menschen.
Nach dem Tod der Gründerpersönlichkeiten gelangte das Unternehmen in den späten 1920-er Jahren ins Eigentum einer Investorengruppe. Jacques-David LeCoultre, der 1937 gemeinsam mit Edmond Jaeger in Le Sentier Jaeger-LeCoultre gründen sollte, übernahm die Geschäftsführung.
Die Unternehmensphilosophie basierte auf der Herstellung preiswerter Uhren mit Stiftankerwerken. Immer wieder konnte Oris belegen, dass diese Art Zeitmesser bei sorgfältiger Konstruktion und Ausführung genauso zuverlässig und präzise sind, wie solche mit Schweizer Ankerhemmung. Zum Beispiel erhielt das 652 im Jahr 1968 als erstes Stiftankerkaliber ein Gangzeugnis des Observatoire Astronomique et Chronométrique in Neuchâtel.
Offizieller Gangschein für das Kaliber 652, 1968
Die Achillesverse dieser erfolgreichen Strategie zeigte sich ab 1934. Damals schrieb ein Schweizer Bundesgesetz, das die heftig kriselnde Uhrenindustrie vor dem Untergang bewahren sollte, die Produktion der Firmen auf ihren aktuellen Staus fest. Die Tatsache, dass Oris fortan ausschließlich Stiftankeruhren herstellen durfte, tat Kreativität und Erfolg keinen Abbruch. Ab 1936 produzierte Oris auch in Holderbank, Como, Courgenay, Ziefen, Herbertswil und Biel. Auf der Payroll standen bereits rund 1.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Viele lebten in Oris-Häusern. Andere brachten eigene Buslinien aus dem 25 Kilometer entfernten Basel zur Arbeit.
Oris Bus im Jahr 1946
1938 gelangte das Kaliber 373 „Pointer” auf den Markt.
Oris Pointer mit Stiftankerkaliber 373
Anschließend gehörte zu jeder Oris-Kollektion mindestens ein Modell mit Datumsindikation durch zentral angeordneten Zeiger. 1952 machte die erste Oris Automatik von sich reden. Die 17-steinigen, modular aufgebauten Stiftanker-Kaliber 601/605 besaßen einem Rotor-Aufzug, der die Zugfeder mit Hilfe von Zwillings-Klinkenrädern in beiden Drehrichtungen spannte. Die Effizienz stellte eine Gangreserveanzeige bei der „12” unter Beweis.
Ab 1952: Oris Kaliber 601
Oris Fabrik in Hölstein, 1953
1966, als das lähmende Bundesgesetz von 1934 endlich aufgehoben wurde, zögerte Oris nicht lange. Noch im gleichen Jahr präsentierte das Unternehmen sein erstes Uhrwerk mit automatischem Aufzug und klassischer Schweizer Ankerhemmung. Das Kaliber 645. Dieses Kaliber und andere Uhr-Aktivitäten katapultierten Oris bis 1970 in den Kreis der Top Ten des internationalen Uhrenbusiness. Jahresproduktion: 1,2 Millionen Uhren und Wecker.
Werbung für Oris Wecker im Jahr 1942
Zu diesem Zeitpunkt war die Quarz-Revolution bereits ihre Schatten voraus. Oris gelangte unter das Dach der 1931 gegründeten Superholding Allgemeine Schweizer Uhren AG (ASUAG), die 1985 mit der nicht minder kränkelnden SSIH zur später in Swatch Group umbenannten SMH (Schweizerische Gesellschaft für Mikroelektronik und Uhrenindustrie AG) fusionierte.
Zu diesem Zeitpunkt war Oris freilich schon wieder selbständig. Die so genannte Quarz-Krise ritt in den späten 1970-er Jahren knapp 900 Schweizer Uhr-Unternehmen in den Konkurs. Etwa zwei Drittel der Belegschaft verloren ihre Job. Betroffen war auch Oris. Das Überleben sicherte 1982 ein Management-Buy-out. Geschäftsführer Dr. Rolf Portmann und der damalige Marketingleiter Ulrich W. Herzog lösten Oris aus der ASUAG heraus, formten aus der Oris Watch Co. SA die Oris SA.
Ulrich Herzog, links, und Rolf Portmann nach dem Management Buyout in den 1980-er Jahren
In den späten achtziger Jahren besaß mehr als die Hälfte der in Hölstein produzierten Uhren ein elektronisches Werk. Die inhaltsreiche Geschichte von Oris belegen einige Zahlen: Von 1919 bis 1987 entstanden in Hölstein und den zugehörigen Produktionsstätten nicht weniger als 96.850.000 Uhren. Spitzenränge nahmen dabei die glanzvollen Epochen von 1919 bis 1928 (27,5 Millionen Exemplare) und 1929 bis 1948 (39 Millionen Stück) ein. Außerdem entwickelte das Unternehmen zwischen 1904 und 1981 insgesamt 229 Kaliber oder Zusätze zu existenten Uhrwerken.
Das Jahr 1988 stand im Zeichen eines neuen Markenauftritts. Oris nutzte die Renaissance der überlieferten Zeitmessung für eine umfassende Neuordnung der Kollektion. Dies äußerte sich nicht nur in einem generellen Ausbau des Mechanik-Anteils, sondern auch in der Einbeziehung oft selbst entwickelter Zusatzfunktionen wie beispielsweise 1997 das „Worldtimer“ Zeitzonen-Dispositiv unter Verwendung des Eta-Kalibers 2836-2.
Der 1997 entwickelte Oris “Worldtimer”
Im Zuge des Oris Erwerbs hatten Portmann und Herzog die kostspielige Herstellung eigener Uhrwerke komplett eingestellt und ihre Produktion hauptsächlich auf Kaliber des Giganten Eta gestützt.
2014, pünktlich zum 110. Geburtstag der Oris endet dieser Zustand. Gemeinsam mit Schweizer Ingenieuren und Mitarbeitern des Technicums in Le Locle hob Oris die erste Eigenkreation seit 35 Jahren aus der Taufe.
Das neue Handaufzugskaliber 110 von Oris
Die Herstellung des neuen 110 erfolgt zusammen mit spezialisierten Partnern in der Eidgenossenschaft. Bei diesem 34 Millimeter großen Uhrwerk handelt es sich um die erste Eigenkreation seit 35 Jahren. Besonders markant auf der Rückseite des 34 Millimeter großen Handaufzugskalibers tritt der riesige Energiespeicher in Erscheinung. Die darin aufgewundene, 1,80 m lange Zugfeder gestattet stolze zehn Tage Gangautonomie.
die nichtlineare Gangreserveanzeige des Kalibers Oris 110
Wie es um den aktuellen Krafthaushalt steht, stellt die patentierte Gangreserveanzeige bei der „3“ unter Beweis. Deren Zeiger bewegt sich anfangs relativ langsam. Mit nachlassender Federkraft steigert er sein Tempo. Dementsprechend hat Oris auch die zugehörige Skala gestaltet.
Der Gangregler des Newcomers mit kleiner Sekunde bei der „9“ oszilliert mit drei Hertz. Pro Stunde vollzieht die Unruh also 21.600 Halbschwingungen. Ein Exemplar besteht aus 177 Komponenten.
Oris 110 Year Limited Edition in Stahl …
Die damit ausgestatteten Uhren gelangen in einer „110 Years Limited Edition“ auf den Markt. Logischer Weise beschränken sie die beiden Versionen mit 43 Millimeter großem Stahl- oder Rotgoldgehäuse auf 110 Exemplare.