GLB: Zunächst einmal danke für das Gespräch, Hélène. Fine Watchmaking genießt bei Cartier auch dieses Jahr 2014 wieder einen hohen Stellenwert.
Hélène Poulit Duquesne (HP): Die Fine Watchmaking-Strategie reicht bei Cartier nun sieben Jahre zurück. Und ich bin sehr stolz darauf, was wir seitdem alles erreicht haben.
Neu 2014: Cartier Rotonde Earth & Moon mit Zeitzonen-Dispositiv, Minutentourbillon und zuschaltbarer Mondphasenindikation
GLB: Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass Cartier weit vor deiner Zeit eine ganz andere Strategie verfolgte. Alain-Dominique Perrin sagte mir 1992, dass Mechanik für Cartier bald gar kein Thema mehr sein werde. Die Zukunft heiße Quarz.
HP (lacht): Das siehst du mal, wie sich die Zeiten ändern können. Aber Spaß beiseite. Fine Watchmaking war, um ein Wort von Cartier zu benutzen, ein echtes Must. Wir wollten das haben und machen. Und wenn Cartier etwas will, dann bekommt Cartier das auch.
GLB: Von nichts kommt aber auch bei Cartier nichts.
HP: Stimmt. Wir mussten unter anderem kräftig investieren. In Personal, Forschung, Entwicklung, Produkte und natürlich in die Werkstätten und deren Ausstattung. Jedes Jahr fünf neue Kaliber, das auch eine erfahrene Firma wie Cartier man erst einmal stemmen.
Neu 2014: Cartier Rotonde Day & Night
GLB: Dass ihr sehr viel geleistet habt, lässt sich beim besten Willen nicht mehr übersehen. Diese uhrmacherisch höchst anspruchsvollen Uhrwerke und Uhren haben ist eine, sie an den Mann zu bringen freilich eine ganz andere Angelegenheit.
HP: Deswegen beinhaltet unsere Strategie ja auch das Thema Glaubwürdigkeit. Genau das müssen wir gegenüber den Männern sein. Einmal mit anspruchsvollen Erzeugnissen und zum anderen mit sportlicheren und weniger klassischen Produkten.
GLB: Eure professionelle Calibre Taucheruhr habe ich in meinem GQ-Blog ja schon ausgiebig vorgestellt. Die knüpfen hinsichtlich ihrer Männlichkeit bei Cartier ja an eine sehr lange Tradition.
HP: Davon kannst du ausgehen. Unsere Santos, eine echte Männeruhr, ist bald 110 Jahre ununterbrochen am Markt. Und die Tank wurde, was man heute gerne übersieht, für Männer kreiert. Nicht zu vergessen die Tortue oder die Pasha. Alles Männer-Uhren. Solche hatte Cartier immer im Programm. Ungeachtet dessen mutierte die Marke im Laufe der Jahrzehnte zum König der Damenuhren und der Juweliere.
GLB: Darf ich unterstellen, dass es die Damen dem Hause Cartier deutlich leichter machten als die Männer?
HP: Das kann und will ich nicht in Abrede stellen. Aber zum Glück sind wir auf bestem Weg zurück. Die Linie Calibre machte in punkto maskuliner Sportlichkeit einen viel versprechenden Anfang. Die überfälligen Taucher-Modelle mit hoch professionellem Anspruch setzen hier noch eins drauf. Und über allem thronen eigene Manufaktur und Fine Watchmaking. Cartier deckt alle Bereiche ab. Darf ich uns ein wenig loben, wenn ich sage, wir werden immer professioneller?
GLB: Absolut! Vor dem, was ihr in sieben Jahren uhrmacherisch erreicht habt, kann ich nur respektvoll den Hut ziehen. Gehen solche strategischen Produktentscheidungen intern eigentlich reibungslos über die Bühne?
HP: Mitnichten. Beispielsweise hatten wir einige Debatten, ob unsere neue Taucheruhr die ISO-Norm vollumfänglich erfüllen muss oder ob es nicht auch eine normale Taucher-Armbanduhr mit hoher Wasserdichte, Drehlünette etc. und starker Optik tut. Mit Blick auf unsere Kunden stellten wir uns schon die Frage, ob die so etwas überhaupt wollen oder gar brauchen. Der Anspruch, eine normgerechte professionelle Taucher-Armbanduhr zu machen ist in der Tat ungleich höher als ein, lass es mich so sagen, normales Produkt, das sich äußerlich keinen Deut unterscheiden muss.
SIHH 2014: Der Calibre Diver
GLB: Wenn ich dich recht verstehe, siegte dann letzten Endes der Cartier eigene Hang zur Perfektion.
HP: Dem würde ich keine Sekunde lang widersprechen.
GLB: Du, dein Mann und die Kinder fahren übers Wochenende gerne zu eurem Bauernhof in der Normandie. Da ist der neue Calibre Diver sicher die richtige Uhr, auch wenn eurer früherer CEO Bernard Fornas mir einmal lächelnd zugeraunt hat, dass er die Calibre grundsätzlich nicht am Handgelenk von Cartier-Mitarbeiterinnen sehen möchte.
HP (lacht): So dogmatisch geht es bei uns dann doch nicht zu. Aber ich muss gestehen, dass ich mich echt mit dem Gedanken trage, mir selbst eine Calibre Diver zu kaufen.
GLB: Dann viel Spaß damit und nochmals danke für das Gespräch.
Zur Person Hélène Poulit Duquesne:
Obwohl ich das Alter der charmanten Französin weiß, werde ich es an dieser Stelle nicht verraten. Das tut Mann nicht. Die Französin agiert bei Cartier als internationale Marketingchefin. Den keineswegs einfachen Spagat zwischen femininem Charme und knallhartem Geschäft beherrscht die Mutter zweier Kinder schlichtweg perfekt. Und das dürfte einer der Gründe für die beispiellose Blitzkarriere nach dem Studium an der französischen Elite-Akademie ESSEC gewesen sein. Mit 22 hatte sie das Examen in der Tasche und auch ohne Bewerbung auf Anhieb eine Stabsposition beim Luxusmulti LVMH. Nach einem kurzen Intermezzo bei Dior-Parfüms erfolgte im Oktober 1998 der Wechsel zu Cartier. Dort arbeitete sich Hélène als einzige Frau in einem Team selbstbewusster Männer innerhalb von 13 Jahren in die siebenköpfige Führungsriege empor. Ihre Maximen: eiserne Disziplin, klare Strukturen und der stete, immer aufs Firmenwohl bedachte Blick nach vorne. Und mit einem Lächeln, als sei es die normalste Sache in der Welt, bekennt sie auch, ein unverbesserlicher Workaholic zu sein. Hélène Poulit, der hochwertige Uhren ursprünglich nicht sonderlich viel bedeuteten, hat sich der komplexen Materie mit dem ihr eigenen Enthusiasmus verschrieben. Als Marketingchefin des chronometrischen Metiers war die studierte Ökonomin maßgeblich am Aufbau eigener Manufaktur-Aktivitäten in La Chaux-de-Fonds beteiligt. In ihren Augen musste sich Cartier konsequent in diese Richtung bewegen, um als Uhrenmarke auch bei Männern ernst genommen zu werden. Ihr Ehemann, ein erfolgreicher Finanzer, akzeptiert, schätzt und fördert den bemerkenswerten Aufstieg. Mit Rücksicht auf die Kinder reist übrigens immer nur einer von beiden.