Im April 2004 hatte ich möglicher Weise als erster Journalist über ein neues Uhrwerk von TAG Heuer berichtet. Der Fund stammte vom Server des Europäischen Patentamts. Die zugehörige Patentschrift datierte auf den 9. Juli 2003. Dabei handelte es um ein neuartiges Uhrwerk mit vier Federhäusern, linear angeordneter Platin-Schwungmasse für den Selbstaufzug, zahlreichen Kugellagern und insgesamt 13 feinen Zahnriemen.

So zeigte sich das V4-Kaliber 2003 in der Patentschrift
Als der damalige CEO Jean-Christophe Babin diese ausgefallene Konstruktion während der Baselworld 2004 dann auch tatsächlich in Form eines Uhrenkonzepts präsentierte, hörte ich nicht nur einmal die Meinung, dass so etwas nie und nimmer funktionieren werde.









Die 2004 lancierte V4-Konzeptuhr von TAG Heuer konnte so nie Realität werden. Im Werk steckten zu viele Kinderkrankheiten
Ganz unrecht hatten die Auguren nicht, denn die ursprüngliche Konstruktion steckte voller Macken und Tücken. Und genau die brachten Guy Sémon ins Boot, welcher inzwischen bei TAG Heuer als Generaldirektor fungiert. Bei der Entwicklung zur Serienreife musste der promovierte Mathematiker und Physiker etwa 2.500 Variable mit Hilfe eines Hochleistungscmputers konsequent abarbeiten.

Guy Sémon beim Grand Prix de Genève




Langwieriger Prozess bis zur Serienreife des V4 von TAG Heuer
Bekanntlich besteht die Aufgabe der Getriebekette in mechanischen Uhrwerken darin, die langsamen, mit hohem Drehmoment versehenen Rotationen des Energiespeichers in schnelle Umdrehungen des Ankerrads umzuwandeln. Die dort ankommende Kraft darf nur so groß sein, dass die Hemmung und das Schwingsystem präzise arbeiten. Zu viel Energie bewirkt u.a. das gefürchtete „Prellen“, zu wenig lässt die Unruh-Amplitude bis hin zum Stillstand sinken.
Damit letztlich alles dauerhaft im Sinne der Erfinder funktioniert, schrumpfte die Zahl der winzigen Zahnriemen von 13 auf fünf. Die technologische Meisterleistung auf diesem Gebiet zeigt sich spätestens beim Blick durchs Mikroskop. Mit Hilfe eines Lasers werden die haarfeinen Winzlinge aus Polyamid (Polyphtalamide PPA)-Material mit amorpher und transparenter Molekularstruktur und Titan-Vanadium-Seele in Frankreich geschnitten. Fertigungstoleranz: maximal fünf Tausendstellmillimeter bezogen auf die Dicke von 0,07 Millimeter.

Mikro-Zahnriemen in der neuen Version des V4-Kalibers
Mangels Wirkkraft hat die in konventionellen Uhrwerken gängige NIHS-Verzahnung im V4-Kaliber nichts mehr zu suchen. Guy Sémon setzte hier auf die ISO-Norm. Warum, das macht ein Vergleich mit den bekannten Handaufzugskaliber Peseux/Eta 7001 klar. Dessen Getriebekette besteht aus vier NIHS-Getriebestufen mit einer Effizienz von jeweils 0,9. Beim Kaliber V4 lassen sich dagegen 14 ISO-Getriebestufen zählen. Hier beträgt der Output jeweils 0,98. Was das in der Summe bedeutet, zeigt die simple, aber aussagekräftige Schlussrechnung:
- Peseux 7001: 0.904 = 0.66
- V4: 0.9814 = 0.75
Die hohe Zugkraft der kleinen Zahnriemen bedingte auch eine Abkehr von den üblichen Steinlagern für die Zapfen der rotierenden Komponenten. TAG Heuer ersetzte sie durch hoch belastbare Miniaturkugellager mit alterungsbeständigen Zirkoniumkugeln.

Funktionsschema der TAG Heuer V4
Die Kärnerarbeit hat sich gelohnt. 2011 tickte das Ausnahmekaliber höchst zufriedenstellend in der Monaco V4.

Guy Sémon und sein Team hatten dem tickenden Mikrokosmos alle Kinderkrankheiten ausgetrieben. Zu den technischen Daten des Uhrwerks an dieser Stelle nur so viel:
Dimensionen 36 x 36 mm
Linear agierende Aufzugsmasse aus Wolframkarbid (Schwermetall), spezifisches Gewicht 19.250 gr/cm³
vier Federhäuser
Gangautonomie ca. zwei Tage
Unruhfrequenz vier Hertz (28.800 A/h)

Das V4-Kaliber in der konventionellen Ausführung
Kein Wunder, dass Jean-Claude Biver als neuer CEO und Guy Sémon auch nach der gravierenden Umstrukturierung bei TAG Heuer an dem innovativen V4-Kaliber festhalten. Es bleibt in der Kollektion, wie die allerneueste Version belegt. Sie wird während der Baselworld 2015 zu sehen sein und heißt „V4 Phantom“.

Die brandneue V4 Phantom von TAG Heuer





Die Besonderheit des Newcomers besteht einmal in einer modifizierten Optik des Uhrwerks und dann in dem leichten Gehäuse aus geformten Karbonplatten. Für die Gehäusefabrikation kooperiert TAG Heuer mit der Schwester Hublot, die auf diesem Gebiet jede Menge einschlägiger Erfahrung vorweisen kann. Der Preis für dieses Hightech-Instrument, erklärte mir Jean-Claude am Telefon, wird bei ca. 29.000 Euro liegen.