Was hatten, um hier nur einige Namen zu nennen, Königin Astrid von Belgien, König Faruk von Ägypten, Kaiser Hirohito, die Innendekorateurin Elsie de Wolfe, der Maharadscha von Kapurthala, James Gordon Bennet, William Randolph Hearst und Roger Vadim gemeinsam? Ganz einfach: Sie reisten mit Gepäck von Louis Vuitton. Und das natürlich nicht ohne Grund. Das 1896 von Georges, dem Sohn Louis Vuittons zum Schutz vor Fälschungen entworfene Monogramm-Muster wirkte sich auf ihre Koffer- und Taschenwahl vermutlich nur am Rande aus. Maßgeblich waren vielmehr die ungemeine Funktionalität, Robustheit und Qualität, welche das Produktspektrum der 1854 gegründeten Firma kennzeichneten. Mit Fug und Recht kann Louis Vuitton, Erfinder des flachen Koffers, als Pionier des modernen Reisegepäcks gelten. Auf diesem Gebiet steht seine Kreativität derjenigen eines anderen Pariser Bürgers in nichts nach: dem Uhrmacher Abraham-Louis Breguet. Auch seine Kundenkartei konnte als Almanach der Prominenz seiner Epoche gelten. Ohne Frage beeinflussten beide ihr jeweiliges Metier bis zum heutigen Tage in ganz entscheidender Weise, weshalb die Namen unsterblich sind.
Auch moderne Kosmopoliten können und wollen auf edles Gepäck und hochwertige Uhren schlichtweg nicht verzichten. Allerdings verkörperten Zeitmesser für Louis Vuitton und seine familiären Nachkommen keine unternehmerische Herausforderung. Demgegenüber denkt die LVMH-Gruppe als heutiger Inhaber der Markenrechte und internationaler Luxusmulti Nr. 1 diesbezüglich ganz anders. Die Philosophie: Wer sich auf die Herstellung feinster Reise-Accessoires versteht, dem sollte das nicht minder handwerklich ausgerichtete Thema Armbanduhren keineswegs fremd sein. Zumal sich unter dem Dach des französischen Globalplayers renommierten Uhrenmarken wie Hublot, TAG Heuer und Zenith befinden.
In diesem Sinne hatte Louis Vuitton seinen ersten Ausflug in die Uhrenszene bereits 1989 mit der so genannten „Reiseuhr“ unternommen. Dabei handelte es sich um eine Armbanduhr mit elektronischem Innenleben und innovativer Weltzeitindikation. Die Entwicklung und Fertigung oblag der Schaffhauser IWC.
Louis Vuitton Reiseuhr by IWC, 1989
Der Vertrieb erfolgte, wie bei Louis Vuitton traditionsgemäß üblich, über das weltumspannende, mittlerweile auf 465 angewachsene Netz eigener Boutiquen mit bis zu 300 Angestellten. Auf diese weise lassen sich die Preise exakt kontrollieren und Graumarkt-Aktivitäten wirkungsvoll unterbinden.
Ab 2002 agierte Louis Vuitton chronometrisch in eigener Regie. Und zwar in einem neuen Ateliergebäude am Rande der Uhrenmetropole La Chaux-De-Fonds. Von Anbeginn hatten die dort fertiggestellten Uhren, welche übrigens nie den Anspruch erhoben, aus eigener Manufaktur zu stammen, dem Luxus- und Qualitätsanspruch der Traditionsmarke voll und ganz zu genügen. Die verbauten Kaliber stammten u.a. von der Eta oder von Zenith. Mit im Boot war auch der einschlägig erfahrene Mechanikspezialist Dubois-Dépraz. Wegen der konsequent definierten und realisierten Ansprüche gewährte Louis Vuitton bereits auf die ersten mechanischen „Tambour“-Chronographen, ausgestattet entweder mit dem chronometerzertifizierten „El Primero“-Kaliber der in Le Locle beheimateten Schwester oder dem modularen Eta 2894-A2 mit „El Primero“ eine fünfjährige Garantie.
Dass alle Armbanduhren nahezu hundertprozentig Swiss Made sind, mag sich in diesem Zusammenhang von selbst verstehen. Nur die Lederbänder kommen vielfach aus Frankreich. Ein Teil davon wird sogar direkt bei Louis Vuitton genäht.
Eine erste Zeitenwende brachte der August des Jahr 2007 mit der Gründung von „La Fabrique du Temps“, einer Genfer Aktiengesellschaft zur Entwicklung und Fertigung uhrmacherischer Komplikationen aller Art. Mit dem Startup aufs Engste verknüpft sind Enrico Barbasini and Michel Navas.
Enrico Barbasini
Michel Navas
Die ausgewiesenen Spezialisten für uhrmacherische Komplikationen konnten auf jede Menge Erfahrungen aus ihrer beruflichen Tätigkeit u.a. bei Gérald Genta, Patek Philippe, Audemars Piguet, Franck Muller und schließlich der 2006 zusammen mit Mathias Buttet gegründeten Komplikationenschmiede BNB Concept bauen. Sand im Getriebe des kreativen Trios führte schon ein Jahr später zur Trennung und Verselbständigung unter dem Namen la Fabrique du Temps. Zu den ersten Kunden zählte der ehemalige Patek Philippe-Mitarbeiter Laurent Ferrier. Louis Vuitton stieß 2009 dazu. Die erbrachten Leistungen überzeugten in jeder Hinsicht. Die immer engere Kooperation führte im Sommer 2011 zum Erwerb von „La Fabrique du Temps“ durch Louis Vuitton.
Die Akquisition geschah unter der Ägide des gegenwärtigen Uhren-CEO Hamdi Chatti, der im Januar 2010 nach beruflichen Stationen bei Piaget, Harry Winston und Montblanc zu Louis Vuitton gestoßen war.
Hamdi Chatti
Für den studierten Ingenieur der Mikrotechnologie und ausgebildeten Uhrmacher verkörperte „La Fabrique du Temps“ den idealen Partner zur Verwirklichung exklusiver Uhr-Ideen. Natürlich blieb es nicht nur beim Kauf. Zug um Zug nahmen Pläne zur Errichtung eines neuen Fabrikationsgebäudes im Genfer Stadtteil Meyrin Gestalt an, wo beispielsweise auch Chopard und die Manufaktur Roger Dubuis ihren Geschäften nachgehen. Dessen offizielle Eröffnung ging am 7. Oktober 2014 über die Bühne.
La Fabrique du temps Louis Vuitton im Genfer Vorort Meyrin
Bei dieser Gelegenheit konnte ich auch mit Hamdi Chatti, 47, sprechen. Sein Ziel besteht darin, „Louis Vuitton immer stärker als ernstzunehmenden Uhrenhersteller zu etablieren, welcher Uhrenliebhaber wegen der breit gefächerten Kollektion in die Boutiquen lockt.“ Zu diesem Zweck schreibt Louis Vuitton die Kombination aus Ästhetik und hilfreichen Zusatzfunktionen sehr groß, was sich beispielsweise in den verschiedenen Tambour-Modellen mit Zeitzonen-Dispositiv äußert. „Wir wollen auch bei den Uhren ganz konsequent in der Welt der Reisenden zu Hause sein und ihnen in Sachen Zeit optimale Begleiter offerieren.“ Dazu gehören gegenwärtig u.a. die „Tambour Bleu GMT“, der „Tambour eVolution Chronograph GMT“,
Tambour eVolution Chronograph GMT
die „Tambour eVolution Spin Time GMT“
Tambour eVolution Spin Time GMT
oder on the Top die farbenfrohe „Escale Worldtime“, über die ich hier in meinem Blog bereits berichtet habe.
Escale Worldtime von Louis Vuitton
„All diese Armbanduhren repräsentieren in eindrücklicher Weise die während mehr als 150 Jahren entwickelte DNA unseres Hauses.“ Die verwendeten Basiswerke produziert Louis Vuitton ganz bewusst nicht selbst. „Wir sind“, so Hamdi Chatti, „keine Werkefabrikanten und wollen auch keine werden. Dank der umfassenden Kompetenz von Enrico Barbasini und Michael Navas pflegen wir auch in Zukunft das für uns ausgesprochen wichtige Thema Zusatzfunktionen. Darauf ist La Fabrique du Temps seit ihrer Gründung ausgerichtet. Und so soll es auch bleiben. Mechanische Basiswerke kaufen wir bei den bestmöglichen Bezugsquellen ein, um sie dann in unserem Sinne zu nutzen.“ Extrem wichtig dabei ist die ausgewogene Balance zwischen Design und uhrmacherischer Innovation. „Das kann man vielleicht als Paradoxon betrachten. Aber die Vereinigung zweier scheinbar gegensätzlicher Welten ist für mich persönlich ein hoher Anspruch, den es bei jeder Uhr zu realisieren gilt.“ Die Kreation des ausdrucksstarken „Tambour“-Gehäuses geht zwar nicht auf Hamdi Chatti zurück, „aber für mich gibt es keinen Grund, etwas an der ikonographischen Gestalt mit extrem hohem Wiedererkennungswert zu verändern. Ganz abgesehen davon verknüpft sich der Name Tambour in Kennerkreisen stets mit hoher Funktionalität.“ Ein weiterer Beweis für dieses Statement ist im „Tambour Twin Chronograph Grand Sport“ zu sehen.
Tambour Twin Chronograph Grand Sport
Der natürlich von Enrico Barbasini und Michael Navas entwickelte, für Louis Vuitton patentierte und in der „Fabrique du Temps“ gefertigte Doppelchronograph mit dem Automatikkaliber 175 besitzt gleich vier Federhäuser sowie ebenso viele Schwing- und Hemmungssysteme.
Kaliber 175 des Tambour Twin Chronograph Grand Sport
„Auch bei dieser Uhr buchstabiert jedes Detail den Namen Louis Vuitton“. Dass die neue Fabrikationsstätte nahe dem Genfer Flughafen für höchste Standards bürgt, mag sich für alle jene, die den qualitätsversessenen Hamdi Chatti kennen, von selbst verstehen. „Mir bleibt auch keine andere Wahl, denn unsere Kunden kaufen Louis Vuitton traditionsgemäß wegen der garantierten Qualität. Deshalb müssen wir in unseren Ateliers höchste Qualität bieten und diese auch von unseren Zulieferanten einfordern. Hier kooperieren wir ausschließlich mit den besten dieses Metiers.“ Louis Vuitton ist jedoch auch bekannt dafür, Sonderwünsche der Kundschaft wenn immer möglich zu erfüllen. Wer eines der 2006 lancierten „Tambour Tourbillons“
Tambour Tourbillon
oder die noch deutlich komplexere „Tambour Minutenrepetition“ erwirbt,
Tambour Minutenrepetition
kann sich beispielsweise sein Monogramm direkt ins Uhrwerk einarbeiten lassen. Die Handwerker in der „Fabrique du Temps“ verstehen sich darauf. Außerdem ist der hochmoderne Maschinenpark auf diese Art von Arbeiten ausgelegt. Die computergesteuerten Fertigungszentren lassen sich ferner zur Herstellung von Prototypen und, ganz wichtig, der metallenen Rohlinge für die Louis Vuitton-Zifferblätter nutzen.
Neben dem Gehäuse und den Zeigern sind letztere das wichtigste Aushängeschild jeder Uhr. Immerhin tragen Zifferblätter bis zu achtzig Prozent zum Erscheinungsbild derselben bei. In diesem Sinne wollen Farbe, Oberflächenstruktur, Indexe und Bedruckung genauestens überlegt sein, damit aus vielen Details ein stimmiges Ensemble wird. Alle Entwürfe zu dem Zifferblättern entstehen im Designstudio der Fabrique du Temps. Für die Produktion inklusive der galvanischen Oberflächenvergütung, der Lackierung und dem Bedrucken mit Hilfe des so genannten Tampon-Transferverfahrens sind eigene Abteilungen zuständig. Dazu nochmals Hamdi Chatti: „Auf diese Weise können wir gewährleisten, das jedes Einzelteil unserer Uhren denselben hohen Standards genügt. Speziell bei den Zifferblättern ist es uns ein großes Anliegen, immer wieder neue Gesichter der Zeit zu kreieren.“
Reine Handarbeit: Herstellung des Zifferblatts der “Escale Worldtime”
Eine weitere Maxime hat sich Hamdi Chatti bis ganz zum Schluss unseres Gesprächs aufgehoben. „Wir wollen unsere Uhren stets anders machen als der beste Wettbewerber am Markt. Auf diese Weise können wir Connaisseurs für Louis Vuitton begeistern.“ Rund 100 Leute arbeiten gegenwärtig in dem neuen, lichtdurchfluteten Gebäude.
Zum Aufgabenspektrum gehören natürlich auch die Assemblage, Reglage, finale Kontrolle und der Versand aller Uhren mit der Signatur Louis Vuitton.
Assemblage der Uhren in der Fabrique du Temps Louis Vuitton
Wenn nötig, finden dreißig weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Platz. Das mir 2011 anlässlich des Lancements der neuen „Spin Time“ in Paris erklärte Ziel von Hamdi Chatti bestand nämlich darin, die Produktion innerhalb von fünf Jahren zu verdoppeln. Er ist ihm, wie sich beim Besuch der neuen „Fabrique du Temps“ unschwer erkennen ließ, ein sehr gutes Stück näher gekommen.
Beinahe hätte ich noch einen wichtigen Aspekt vergessen: Mit der Ansiedlung im Kanton Genf verknüpft sich auch der Plan, Uhren nach den strengen Vorgaben des Genfer Siegels zu produzieren. „Wenn alles gut geht, werden wir in eineinhalb Jahren so weit sein.“ Es bleibt also spannend rund um Louis Vuitton.
Ganz zum Schluss muss ich leider noch konstatieren, dass Louis Vuitton ausdrücklich darum gebeten hat, nur die offiziellen Fotos zum Rundgang durch die Fabrique du Temps zu publizieren. Dem Wunsch leiste ich natürlich Folge. Meine eigenen Fotos müssen also auf der Festplatte bleiben.