Wer in europäischen Graden mechanische Uhren fertigen und keine asiatischen Werke wollte, kam lange Jahre an der Eta nicht vorbei. Das galt auch für Manfred Brassler, der 1999 das Label MeisterSinger am Markt lancierte. Im Erstlingswerk, der 2001 vorgestellten und logischer Weise Nr. 01 titulierten Armbanduhr tickte das Handaufzugs-Eta 2801-2.
Die größere Nr. 02 gelangte mit Glasboden und dem Eta/Unitas 6498 in die Geschäfte.
Ins Automatik-Zeitalter startete die Marke mit dem robusten Eta 2824-A2. Die ganze Uhr nannte sich Nr. 03.
Bei aller Unterschiedlichkeit der verbauten Kaliber einte das Trio die heutzutage außergewöhnliche, historisch betrachtet aber ehr ganz normale Zeitanzeige. Über dem Zifferblatt rotierte ein einziger Zeiger, und zwar derjenige für die Stunden. Wer meint, für den Alltagsgebrauch sei das zu wenig, irrt gewaltig. Hat Mann sich an den Anzeige-Minimalismus erst einmal gewöhnt, bereitet diese Form der Indikation keinerlei Probleme. Dafür sorgte allein schon Manfred Brassler, der sich bei der Gestaltung des Zifferblatts zumindest teilweise an einem sehr renommierten Vorbild orientierte: Abraham-Louis Breguet. Der hatte 1798 bei der Montre Souscription, also der vorausbezahlten Serien-Taschenuhr zur kontinuierlichen Auslastung seiner Werkstätten ebenfalls auf den Stundenzeiger verzichtet. Ganz so, wie es bei den sehr frühen Räderuhren ab dem späten 13. Jahrhundert der Fall gewesen war.
Einzeigrige Montre Souscription von Abraham-Louis Breguet
Aber Manfred,
MeisterSinger Eigentümer und CEO Manfred Brassler
der die Rückkehr zu den U(h)rsprüngen zu seiner Maxime erklärt hatte und beim Forschen in den Annalen der Zeitmessung auch auf den Nürnberger Peter Hele, besser bekannt als Peter Henlein gestoßen war, arbeitete akribisch an einer Optimierung der zu nur einem Zeiger passenden Skalierung. „Stunden, halbe und viertel Stunden sowie die Minuten müssen sich bei der Indexierung klar voneinander abheben.“ Und das ist dem autodidaktischen Produktgestalter bei seinen philosophisch anmutenden Einzeiger-Armbanduhren auch bestens gelungen. Der Kreativität von Manfred Brassler sind auch die Einer-Stundenziffern mit vorangestellter 0 und der keilförmige, mit hohem Wiedererkennungswert ausgestattete Nadelzeiger zu verdanken. Eine Bestätigung für sein schöpferisches Tun erfuhr Manfred durch die Zuerkennung des red dot design award 2004 des internationalen Forums für Design in Hannover. Eine andere liefern treue Kunden rund um den um den Globus.
MeisterSinger Pangaea Automatik mit Eta 2892-A2 oder Sellita SW 300
Letztere schätzen die Reduktion auf das Wesentliche. Einen Zug oder einen Flieger hat mit einer puristischen MeisterSinger am Handgelenk wohl noch nie verpasst. Ach ja, der Name. Für eine Uhr ist er sicher so ungewöhnlich wie die Zeitanzeige. Aber wer den Erklärungen des überwiegenden Firmeninhabers, der seine unternehmerische Vita retrospektiv als teilweisen „Ritt auf der Rasierklinge“ betrachtet, diesbezüglich zu Wort kommen lässt, erkennt die Namens-Logik sofort.
Einer der Zeitgenossen des besagten Schlossermeisters und Uhrmachers Peter Henlein - dem die so genannten Nürnberger Eier mit nur einem Stundenzeiger übrigens nach derzeitigem Kenntnisstand zu Unrecht zugeschrieben werden- war der Schuster Hans Sachs. Ihm wird nachgesagt, nicht nur aktives Zunftmitglied der Meistersinger gewesen zu sein, sondern auch Bester unter allen.
Auf die Frage, wie denn Amerikaner oder Japaner mit dem urdeutschen Namen umgehen, antwortet Manfred sehr spontan: „Da habe ich noch nie ein Problem erlebt.“
Doch zurück zur eingangs erwähnten Eta und ihren Kalibern, welche sich in vielen der MeisterSinger-Zeitmesser finden. Bekanntlich hinterlässt die rigide Lieferpolitik des eidgenössischen Rohwerkegiganten tiefe Spuren. Deshalb wollen sie viele Marken möglichst rasch aus der Abhängigkeit befreien. Das gilt auch für MeisterSinger im schönen Münster und den freundschaftlich verbundenen Hersteller der Uhren im schweizerischen Biel, unweit der Swatch Group-Manufaktur Omega.
Den Aufbau eigener Fertigungskapazitäten hatte Manfred von Anbeginn nicht im Sinn. „Wozu auch, denn es gibt zahlreiche Private-Label-Fabrikanten, die diesen Job weitaus besser beherrschen als ein Greenhorn, wie ich es beim Einstieg ins Uhrenbusiness war.“ So fanden zuerst Manfred Brassler und Jörg Bader zusammen. Längst ist bei Synergies Horlogeres (SH) auch Johannes Jahnke mit im Boot.
Johannes Jahnke, Partner bei und Technischer Direktor von Synergies Hologeres
Der 30-jährige Uhrmacher und Konstrukteur hat u.a. bei Lang & Heyne in Dresden gearbeitet. Inzwischen ist er Partner und Technischer Direktor bei SH. In letztgenannter Eigenschaft entwickelte der Deutsche einen Handaufzugschronographen auf der Basis des Eta/Unitas 6498-1, welcher 2013 als Kaliber MSYN13 in den MeisterSinger „Paleograph“ Einzug hielt.
Kaliber MSYN13 mit Chronograph - Basis Handaufzugkaliber Eta/Unitas 6498-1
Die derzeit teuerste MeisterSinger besitzt logischer Weise mehrere Zeiger. Der Paleograph kostet 5.498 Euro
Das war schon exklusiv, mit Blick auf die angestrebte Kaliber-Autonomie nicht exklusiv genug. Nicht zuletzt deshalb reiste ich kürzlich ins Westfälische, um die Vorstellung eines komplett selbst entwickelten und von SH zusammen mit insgesamt neun Lieferanten hergestellten Uhrwerks zu erleben.
Johannes Jahnke und Manfred Brassler präsentieren das exklusive MeisterSinger Handaufzugskaliber MSH01
Das am MeisterSinger Firmensitz im ehemaligen Münsteraner Hafen gezeigte Handaufzugskaliber MSH01 kann auf eine dreijährige Entwicklungs- und Erprobungsphase an ganz vielen Handgelenken zurückblicken. „Bei der Kreation“, so Johannes Jahnke, „kam es mir auch darauf an, nur Komponenten zu verbauen, deren Fabrikanten sich nicht unter dem Dach der Swatch Group befinden.“ Einer davon heißt Precitrame. Die Rolex-Tochter, ein Fabrikant präziser computergesteuerter Fertigungszentren, versteht sich auch auf das Herstellen tragender Teile für Uhrwerke im Lohnauftrag. In diesem Sinne musste SH für das Assortiment, also Ankerrad, Anker, Unruh und Unruhspirale sowie das Regelsystem einen versierten Hersteller suchen. Er fand sich in der Concepto SA, La Chaux-de-Fonds. Nach der Zulieferung aller Komponenten treten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Synergies Horlogeres in Aktion. Von einer industriellen Produktion des Kalibers MSH 01 ist man dort noch ein gutes Stück entfernt. Automaten, welche die Steine Lagersteine in die Gestelle des Räderwerks pressen, existieren noch nicht. Auch das Ölen erfolgt von rein manuell.
Das neue MeisterSinger Handaufzugskaliber MSH01. Links die beiden Federhäuser
Unterzifferblattansicht des MeisterSinger Handaufzugskalibers MSH01
Wenn es ums Regulieren des exklusiven Uhrwerks geht, welches Manfred Brassler ganz bewusst nicht als eigene Manufaktur verstanden wissen und im Einklang mit SH bei Interesse gerne auch mit anderen, jedoch nicht unmittelbar konkurrierenden Uhrenmarken teilen möchte, hat sich Johannes Jahnke klare Vorgaben auferlegt: „Die Werke erfüllen, das hat sich ganz klar gezeigt, die amtliche Chronometernorm. Aber bei uns erfolgt die Regulierung in fünf Lagen zwischen null und plus acht Sekunden. Pro Tag, versteht sich. Somit ist das Delta, also die Spanne, in der sich die tägliche Gangabweichung abspielen darf, um zwei Sekunden geringer als bei der amtlichen Schweizer Prüfbehörde COSC, welche minus vier bis plus sechs Sekunden vorschreibt.
Bezüglich der offensichtlichen konstruktiven Besonderheiten des MSH01 heißt es, den mit vier Hertz (28.800 A/h) tickenden Mikrokosmos eingehend zu betrachten. Einzigartig und fast schon ein Kunstwerk ist die einteilige Räderwerksbrücke auf der Rückseite.
Die einteilige Räderwerksbrücke des Handaufzugskalibers MSH01 - links mit kreisförmigem Streifenschliff, rechts unbearbeitet
Sie ziert ein aufwändiger kreisförmiger Streifenschliff. Selbiger ist verantwortlich für die Namensgebung der ganzen Uhr: „Circularis“. Wer Augen hat zu sehen, entdeckt auch zwei leidlich große Federhäuser. Das Duo speichert Kraft für sehr beruhigende 120 Stunden oder fünf Tage Gangautonomie. Johannes Jahnke hat sie ganz bewusst in Reihe oder hintereinander geschaltet. „Für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Feder in einem Federhaus klemmt oder hakt, läuft das Uhrwerk trotzdem weiter. Vielleicht sinkt dann die Amplitude der Unruh. Aber einen Stillstand gibt es nicht.“ Apropos: In horizontaler Lage beträgt die Auslenkung der Glucydur-Unruh beachtliche 320 Bogengrade. Mehr geht fast nicht, ohne dass die Hemmung zu Prellen anfängt, wie Uhrmacher zu sagen pflegen. Lagenwechsel in die Senkrechte lassen die Amplitude um moderate 30 Bogengrade sinken. Zur Veränderung der Aktiven Länge der Unruhspirale, was ein Vor- oder Nachgehen der Uhr bewirkt, gibt es eine markant auf dem Unruhkloben positionierte Exzenter-Feinregulierung. Die Unruhspirale besteht übrigens aus einem Nivarox-ähnlichem Material, das Concepto selbst schmelzen und ziehen lässt.
Mit nur einem Federhaus läuft das Uhrwerk selbstverständlich auch. Dann natürlich nur halb so lang. Deshalb kann der hierdurch frei werdende Platz beispielsweise für einen integrierten Weckermechanismus genutzt werden. Flexibilität hat der junge Konstrukteur ohnehin groß geschrieben. Der direkt angetriebene, sprich im Kraftfluss liegende -von MeisterSinger derzeit aber nicht genutzte- Sekundenzeiger kann zentral oder außermittig bei der „6“ positioniert werden. Das Uhrwerk ist also in Savonnette-Bauweise ausgeführt. Die Verzahnung des Getriebes vom Federhaus zur Hemmung ist abgeleitet von jener der Eta, welche zwar etwas mehr Kraft kostet, andererseits jedoch auch bei leicht variierenden Achsabständen noch zuverlässig funktioniert. Spielfreie Fortbewegung des Stundenzeigers gewährleistet das ebenfalls direkt im Kraftfluss liegende Minutenrad. Es befindet sich genau in der Mitte des üppig dimensionierten, nämlich 32,7 Millimeter großen und 5,4 Millimeter hoch bauenden Uhrwerks.
Das ganz bewusst nicht flach ausgeführte Handaufzugskaliber MSH01 im Profil
Bei der Gestaltung der Hauptplatine hat Johannes Jahn auch bereits die Indikation einer zweiten Zonenzeit, der Gangreserve sowie selbst einen Chronograph ins Auge gefasst. So gut wie fertig und deshalb bald erhältlich ist die Ausführung mit Selbstaufzug durch einen einseitig agierenden Zentralrotor.
MeisterSinger offeriert das exklusive MSH 01 ab sofort für 3.998 Euro.
Die drei Versionen der MeisterSinger Circularis
Und zwar geschützt durch ein 43 Millimeter Edelstahlgehäuse. Auf Zifferblatt und Zeiger blickt Mann durch ein bombiertes Saphirglas. Aus dem gleichen Material besteht der transparente Boden, welcher das neue Handaufzugswerk in seiner ganzen Pracht präsentiert.
Blick durch den Sichtboden der neuen MeisterSinger Circularis
Dem nassen Element widersteht die Uhr bis zu fünf bar Druck, was einer Wassertiefe von 50 Metern entspricht. Die Qual der Wahl besteht bei den Zifferblättern: Sonnenschliff Silberweiß, Sonnenschliff Saphirblau oder das markentypische Elfenbein, welches mit persönlich am besten gefällt.
Mein Favorit: die MeisterSinger Circularis mit elfenbeinfarbenem Blatt
Die MeisterSinger „Circularis“ im Überblick
Uhrwerk:
Kaliber MSH 01
Durchmesser 32,7 mm
Bauhöhe 5,4 mm
zwei Federhäuser seriell geschaltet
Gangautonomie 120 Stunden
27 Steine
Unruhfrequenz vier Hertz (28.800 A/h)
Uhr:
Edelstahlgehäuse
Saphirglas vorne und hinten
Durchmesser 43 mm
Wasserdicht bis fünf bar
Preis 3.998 Euro