Nach dem gestrigen Rücktritt von Stephane Linder als CEO und Präsident von TAG Heuer stellt sich natürlich die Frage nach dem Warum.
Bei TAG Heuer nun Vergangenheit: Stéphane Linder
Stéphane stand insgesamt 21 Jahre lang auf der Gehaltsliste von TAG Heuer. An die Spitze rückte der damals 48-Jährige mit Wirkung vom 1. Juni 2013 als Nachfolger von Jean-Christophe Babin auf.
Leitet inzwischen Bulgari: Jean-Christophe Babin
Letzterer hatte schon vorher die die Aufgabe des Chefs beim ebenfalls zum LVMH-Konzern gehörenden Luxuskabels Bulgari übernommen. Vor der Übernahme der Leitungsfunktion bei TAG Heuer war Stéphane Linder für den wichtigen nordamerikanischen Markt des 1860 von Edouard Heuer
Edouard Heuer
gegründeten Traditionsunternehmens zuständig. Aktuell verkörpert es einen Markenwert von 876 Millionen Schweizerfranken. Über detaillierte Zahlen reden die Mitglieder der großen Konzerne auf Weisung von oben grundsätzlich nicht. Also heißt es schätzen. Mit rund einer halben Million Uhren dürfte TAG Heuer meiner Meinung nach im vergangenen Jahr 2013 knapp eine Million Schweizerfranken erwirtschaftet haben. Aber, auch das pfiffen die Spatzen in der Uhr-Schweiz schon seit längerem von den Dächern, diese scheinbar positiven Ergebnisse waren für die LVMH-Spitze keineswegs erfreulich. In besagtem Jahr 2013 dürfte TAG Heuer gleich in mehrerer Hinsicht an Performance eingebüßt haben: Umsatz, Stückzahlen und Marktanteil im Stammsegment, wo man beispielsweise mit dem erfolgreichen Swatch Group-Mitglied Longines konkurriert. Die Entscheidung, neben dem Lizenz-Chronographenkaliber 1887
Chronographenkaliber 1887
noch ein zweites Manufakturwerk mit zeitschreibender Funktion zu entwickeln, nämlich das zuerst 1969 getaufte und nach Protesten der Schwester Zenith umbenannte CH 80,
neues Chronographenkaliber CH 80
ging freilich noch nicht auf das Konto von Stéphane Linder.
Auch die Errichtung der hochmodernen, im Herbst 2013 eröffneten Fabrikationsstätte im schweizerischen Chevenez nahe der französischen Grenze lang noch in der Planungs- und Entscheidungskompetenz des alten CEO.
Blicke in die neue TAG Heuer-Fabrik in Chevenez
Jean-Claude Biver
Für das weitere Geschehen spielt das freilich nur eine untergeordnete Rolle. Weitaus wichtiger zu bewerten ist die Tatsache, dass Jean-Claude Biver am 1. März 2014 mit 64 nicht zuletzt auf Bitten von Bernard Arnault
Bernard Arnault
in Nachfolge von Francesco Trapani aus der Bulgari-Dynastie die Rolle des Ober-Chefs der drei LVMH-Hublot, TAG-Heuer und Zenith übernahm. Seine Entscheidung begründete Jean-Claude damals mir gegenüber mit folgenden Worten:„Herr Arnault und ich sind gleich alt. Wenn mein Chef noch Berge erklimmt, musste ich auch einfach mit.“ Und zwar nicht als Manager, sondern als Unternehmer, denn als solcher versteht er sich in jeder seiner Funktionen. Kein Wunder, dass er unternehmerisches Denken auch von seinen drei Markenchefs Ricardo Guadalupe (Hublot),
zweiter von rechts: Ricardo Guadaloupe, Hublot-CEO
Stéphane Linder und Aldo Magada (Zenith)
Aldo Magada, Zenith-CEO
erwartet. Das stellt bereits eine hohe Herausforderung dar. Aber es kommt noch besser, wie mir Jean-Claude in einem Gespräch zu der von ihm gründlich sanierten und zu ungeahnten Erfolgen geführten Manufaktur Hublot erläuterte: „In den von mir geleiteten Unternehmen müssen wir immer unseren Startup-Geist behalten. Oft beginnen Startups, wenn sie ein höheres Niveau erreicht haben, einen Strukturierungsprozess. Und damit gehen Vorteile eines Startups, nämlich schnelles Reagieren, rasche Entscheidungen on the spot, keine steilen Hierarchien, immer direkt am Ball bleiben, Flexibilität oder umgehende Korrekturen von Fehlentscheidungen verloren. Diesen Geist und dieses Denken muss mitbringen, wer bei uns tätig sein will. Wer gerne mit Excel oder Statistiken oder großen Powerpoint-Präsentationen arbeitet, kann hier nicht überleben. Hublot tickt einfach anders. Wer neu zu uns kommt, muss sich an unsere interne Kultur anpassen. Teamgeist wird bei uns groß geschrieben. Und das Team an der Spitze von Hublot arbeitet schon extrem lange zusammen. Es ist wohl das am längsten existierende in der Uhrenindustrie.“
Und genau das könnte der Knackpunkt gewesen sein, als Jean-Claude Biver den Zustand von TAG Heuer als umsatzstärkster Marke des von ihm geleiteten Trios analysiert hatte. Der Verlust an Marktanteilen störte ihn ganz besonders. Selbigen führte er auch auf die Strategie zurück, Umsatz mit immer teureren Uhren wie beispielsweise V4, Mikrograph, Mikrogirder oder MikrotourbillonS zu generieren. Damit stiegen zwar die Durchschnittspreise, das jedoch ohne merklichen Einfluss auf den Gesamt-Umsatz und mit der Folge einer Verwässerung des Markenauftritts. Seine Kritik und die Konsequenzen brachte Jean-Claude denn auch unverblümt auf den Punkt: „Mit einem Hochfrequenz-Kaliber lässt sich zwar der Grand Prix de Genève gewinnen. Weil das auf den Verkauf dieser Uhren keinen positiven Einfluss hat und niemand wirklich beispielsweise einen Tausendstelsekunden-Chronographen braucht, endet nun bei TAG Heuer dieses Kapitel.“
Auch Vergangenheit: TAG Heuer Tausendstesekunden-Mikrotimer
Und er verordnete TAG Heuer eine strategische Neuausrichtung. Ihr zufolge werden die Spitze der Kollektion werden künftig Chronographen markieren, in denen das Manufakturkaliber 1887 tickt. „TAG Heuer muss Uhren offerieren, welche der Kaufkraft des klassischen Kunden gerecht werden.“ Und das ist eine Größenordnung zwischen 800 und 4.000 Euro. „Erstaunlicher Weise besitzen die potenziellen Kunden wegen der in den vergangenen Jahren sprunghaft gestiegenen Uhrenpreise gerade hier nur wenig Auswahl.“ Die Ausrichtung auf Mitbewerber wie Longines und Tudor lässt sich daraus leicht ableiten.
Keine Zukunft gab es für das im Oktober 2013 präsentierte Manufaktur-Chronographenkaliber CH 80 mit Selbstaufzug und Schaltradsteuerung. Dieses Uhrwerk betrachtet Jean-Claude als unsinnige Konkurrenz im eigenen Haus, zumal TAG Heuer für das 1887 ja vermutlich auch noch Lizenzgebühren an Seiko entrichten muss.
Links das bleibende Kaliber 1887, rechts das von 1969 in CH 80 umbenannte und nun auf Eis gelegte Uhrwerk
Hinzu kommt, dass es vor allem jüngere Kunden herzlich wenig interessiert, ob in ihrer Carrera oder dem Monaco-Chronographen hausgemachte oder zugekaufte Mechanik tickt. Also wird TAG Heuer mit Blick auf die genannten und andere Wettbewerber künftig wieder mehr zugekaufte und damit deutlich preiswertere Uhrwerke verbauen. Der einstweilige Abschied vom Kaliber CH 80 bedingte selbstverständlich auch Eingriffe in den Manufakturbetrieb in Chevenez. Dort ruht wohl auch wegen hinreichender Lagerbestände bis Ende 2014 die Produktion komplett. Rund vierzig Beschäftigte sind vorübergehend arbeitslos. 2015 läuft die Fertigung des 1887 mit marktangemessenen, sprich niedrigeren Stückzahlen wieder an.
Die Biver’sche Zukunftsdevise: „Avantgarde, Technologie und moderne Sportuhren, welche vorwiegend jüngere Leute ansprechen.“ Dazu die Rückkehr zum bewährten und preisgekrönten Slogan „Don’t crack under pressure“. „Success is a mind game“ könnte folgen. Beide machten TAG Heuer vor Jahren bekannt. Für ein Aha-Erlebnis sorgten neue Modelle der preiswerten Linie Formula 1,
Erhältlich im Preisbereich zwischen 1.200 und 2.700 Euro: Die Formula 1 von TAG Heuer
die es nun auch mit Automatikwerk gibt. Eine intelligente Smart Watch mit vielen interessanten Funktionen, welche zu TAG Heuer passen, befindet sich im Planungsstadium.
Jean-Claudes Aufräum-Prozess beinhaltet auch ein Durchforsten der Strukturen auf allen Ebenen mit Blick auf Effizienz und Kundenorientierung. „Ich glaube, dass in jeder Mitarbeiterin oder jedem Mitarbeiter viel Optimierungspotenzial steckt. Selbiges gilt es letztendlich auch durch selbstkritische Betrachtung zu erspüren.“ Mit anderen Worten: Wer unter Jean-Claude Biver, der ab sofort interimsmäßig TAG Heuer als CEO vorsteht, an Bord bleiben möchte, muss wandlungsfähig sein.
Und genau diese Wandlungsfähigkeit scheint Stéphane Linder nicht besessen zu haben. Man könnte auch formulieren, dass die Chemie zwischen den beiden nicht so richtig stimmte und die neue strategische Ausrichtung dem alten Babin-Vertrauten Linder nicht behagte. Seine mehr oder minder freiwillige Demission war damit nur eine Frage der Zeit.
Im Kopf von Jean-Claude Biver könnte der spätere CEO schon feststehen. Ich weiß, dass er für diesen Mann größte Wertschätzung hegt und der Kandidat für Jean-Claude größte Wertschätzung empfindet. Dieses Duo könnte eines Tages hervorragend passen. Wie schrieb mir doch Jean-Claude am 22. Oktober 2014 in einer SMS: „Du hast völlig recht. Absolut. Er ist Weltklasse. Einer der Besten, dem ich je in meinem Beruf begegnet bin.“ Mich würde es jedenfalls riesig freuen, diesem nachgerade genialen Menschen eines Tages als TAG Heuer-CEO zu begegnen. Aber das kann noch etwas dauern, denn vorerst muss Jean-Claude Biver weiter aufräumen und bei TAG Heuer ein Team implementieren, das seiner unternehmerischen Philosophie entspricht. Für den einen oder die andere dürfte es nun rasch eng werden, denn Hochnäsigkeit, Überheblichkeit und die Unfähigkeit, an sich selbst Kritik zu üben, kann der gegenwärtige Chef gar nicht vertragen.