Wo Nick Hayek, seines Zeichens CEO des Uhrenmultis Swatch Group recht hat, hat er recht: „Die Schweizer Uhrenindustrie ist führend in der Welt und das muss sie auch künftig bleiben.“
Swatch Group-CEO G. Nicolas Hayek
Gesagt am 9. Dezember 2014 in Genf, als Omega, das mit Abstand größte Gruppenmitglied, einen neuen Meilenstein in der Firmengeschichte öffentlich machte. Und der beinhaltet, um einen wesentlichen Aspekt in aller Kürze vorweg zu nennen, die Aufgabe des offiziellen Titels Chronometer und die Beendigung der Kooperation mit der Schweizer Prüfbehörde COSC, zu Deutsch Offizielle Schweizer Chronometerkontrolle. Bei dieser privaten Institution mit amtlichem Anstrich ist Omega seit Jahren hinter Rolex zweitgrößter Kunde. Nachfolgend nochmals die Zahlen für die Jahre von 2001 bis 2013.
Ein COSC-Zertifikat ist durchaus hilfreich, denn es bescheinigt die während 15 Tagen in fünf unterschiedlichen Positionen eines Uhrwerks sowie bei drei verschiedenen Temperaturen ermittelte mittlere Ganggenauigkeit in einer maximal zulässigen Bandbreite zwischen täglich minus vier und plus sechs Sekunden. Wohlgemerkt gemessen an einem Uhrwerk ausgestattet mit standardisiertem Prüfgehäuse, Normkrone, genau definiertem Testzifferblatt und nur einem Sekundenzeiger. Etwas anderes akzeptiert die COSC zur Erledigung ihres Jobs nicht. Das ist zweifellos gut, aber das Bessere ist bekanntlich des Guten erbitterter Feind. Ob das Uhrwerk nach dem Fertigstellen und Einschalen noch genauso exakt geht, ist keineswegs gewährleistet. Die genauen Gangresultate der Prüfung bekommen die Käufer in der Regel ebenfalls nicht zu Gesicht. Aspekte wie Wasserdichtigkeit und die von Omega seit Anfang 2013 propagierte Resistenz gegen extrem starke Magnetfelder bleiben gänzlich außen vor.
Diese Reduktion auf einen einzigen Aspekt, nämlich die Ganggenauigkeit störte Nick Hayek und das gesamte Omega-Leistungsteam unter Präsident Stephen Urquhart ganz gewaltig.
Omega Präsident Stephen Urquhart
Dazu noch einmal Nick Hayek: „Wir wollen und müssen bei Omega Weltmeister sein, unsere Uhren vor starken Magnetfeldern zu schützen. Mit solchen Magnetfeldern kommen Uhren nämlich immer häufiger in Berührung. In der Küche bei Induktionskochfeldern oder am Flughafen bei den Sicherheitsscannern. Die neuen Omega-Armbanduhren widerstehen Magnetfeldern bis zu 15.000 Gaus. Und wir wollen beweisen, dass dieser gewaltige Wert der Ganggenauigkeit nichts anhaben kann.“
Über das Magnetismus-Problem und den chronometrischen Umgang damit habe ich hier in meinem Blog schon mehrfach und in aller Ausführlichkeit berichtet. Zur Rekapitulation an dieser Stelle deshalb nur so viel: Magnetismus ist im Alltagsleben etwas völlig Normales. Das erdumspannende Magnetfeld schützt, wie einst schon Johann Karl Friedrich Gauß konstatierte, zuverlässig vor Weltraumstrahlung. Nicht zuletzt deshalb ist eine von mehreren Maßeinheiten für die magnetische Feldstärke nach dem deutschen Universalgelehrten benannt. Zur Darstellung der magnetischen Flussdichte (Flux) hat sich in der Wissenschaft das Tesla eingebürgert. Eines davon, zurückgehend auf den Serben Nikola Tesla, entspricht 10.000 Gauss. In Ampère pro Meter (A/m) oder Oerstedt bemisst sich hingegen die magnetische Feldstärke.
Heutzutage tragen artifiziell erzeugte, also elektrisch hervorgerufene Magnetfelder nicht unerheblich zur Kontaminierung ihrer Umgebung bei. Bekannte Beispiele sind starke Elektromotoren, Metalldetektoren an Flughäfen und Scanner zur Magnetresonanztomographie (MRT). Letztere übertreffen das Magnetfeld von Mutter Erde um mehr als das Zehntausendfache. Ihnen ausgesetzte Uhren bleiben sofort wie angewurzelt stehen.
Eine Möglichkeit, Uhrwerke vor Magnetfeldern bis zu 1000 Gauss zu schützen, besteht in der Verwendung von komplett umschließenden Weicheisenkapseln. Schon kleine Öffnungen wie jene für die Zeiger oder ein Datumsfenster mindern jedoch den Umleitungseffekt.
Uhrengehäuse mit Weicheisen-Innengehäuse. Die neuralgischen Stellen sind rot markiert
Die bei Mechanikfreaks äußerst beliebten Sichtböden verbieten sich deshalb komplett. Prominente Vertreter dieser Spezies Zeitmesser sind die IWC „Ingenieur“ oder die „Milgauss“ von Rolex.
Eine allgemeinverbindliche Norm für „antimagnetische“ Uhren gibt es natürlich auch: Solche dürfen in einer magnetischen Flussdichte von 60 Gauss oder 4.800 A/m nicht stehen bleiben. Entfernt man sie aus dem Magnetfeld, sind im Vergleich zum vormaligen Zustand täglich nicht mehr als +/- 30 Sekunden Gangabweichung tolerabel.
Omega beschreitet diesbezüglich einen ganz anderen Weg und tauscht alle Komponenten, bei denen Magnetfelder einen Stillstand verursachen können, konsequent gegen solche mit amagnetischen Eigenschaften aus.
Omega tauscht magnetisierbare Komponenten konsequent aus
In diesem Sinne bestehen beispielsweise bei der „Seamaster Aqua Terra >15.000 Gauss“ die Unruh aus berylliumfreiem Titan,
die Unruhspirale und das Hemmsystem aus Silizium, Anker- und Unruhwelle aus geheimnisumwittertem „Nivagauss“ und die Lyra der Stoßsicherung aus „Liquidmetal“, einer amorphen Metall-Legierung. Deshalb läuft die noch COSC-zertifizierte “Seamaster 300 Master Co-Axial” des Jahres 2014 mit Glasboden sogar in Magnetresonanztomographen unbeeindruckt und ohne Beeinträchtigung der ursprünglichen Präzision weiter.
Omega Seamaster 300 Master Co-Axial 2014, 4.850 Euro
Hier nun mag die eine oder der andere aus dem Kreis meiner geschätzten Leserinnen und Leser einwenden, dass es 15.000 Gauss oder mehr mit Sicherheit nicht braucht. Auf diesen Einwand ist Nick Hayek natürlich vorbereitet. „Warum sollen wir uns mit weniger zufrieden geben, wenn wir den verfügbaren (und, mein Kommentar, wie die Preise der Omega-Uhren demonstrieren, auch bezahlbaren) Mitteln diesen Spitzenwert schaffen. Oder mit anderen Worten, wenn ich problemlos 1,80 Meter hoch springen kann begnüge ich mich im Wettbewerb doch nicht mit einem Meter fünfzig.“
Das und die für das jeweilige Modell vorgesehene Wasserdichte möchten Nick Hayek und Stephen Urquhart fortan detailliert und mit dem Segen des Eidgenössischen Instituts für Metrologie (METAS) bestätigt wissen. In diesem Zusammenhang fällt mir eine gewisse Parallele ein zur deutschen Chronometerprüfung, welche das Haus Wempe in Glashütte unter der Aufsicht des Landesamts für Mess- und Eichwesen Thüringen (LMET) und des Sächsischen Staatsbetriebs für Mess- und Eichwesen (SME).
Nachdem es für das neue Verfahren, welches Omega und METAS in den ersten Monaten des Jahres 2015 in einem neuen Teil des Bieler Gebäudetrakts O1 ausbrüten, testen und zertifizieren werden, kein amtliches Siegel gibt, tragen die allesamt mit der koaxialen Ankerhemmung ausgestatteten Armbanduhren die Signatur „Master Co-Axial“. Bei der Ganggenauigkeit legen die Partner übrigens deutlich strengere Maßstäbe an als die COSC, die Deutsche Chronometernorm und auch das Genfer Siegel. Der akzeptiere Bereich liegt zwischen täglich null und plus fünf Sekunden in mehreren Lagen sowie bei unterschiedlichen Temperaturen.
Gemeinsam mit METAS gilt es, so Andreas Hobmeier (oben ganz links im Bild), der Omega Vice President of Production and Procurement, beispielsweise auch herauszufinden, wie lange die komplett fertiggestellte Uhr dem Feld eines gewaltigen, ohne Energieverbrauch agierenden Permanentmagneten ausgesetzt sein muss, um die amagnetischen Eigenschaften am Ende ohne Wenn und Aber bestätigen zu können. Bei der Prüfung und Zertifizierung der Wasserdichte legen Omega und METAS die Vorgaben der einschlägigen Schweizer Normen zugrunde.
Dass Omega hier von der METAS keine Extrawurst gebraten bekommt, erklärte übrigens deren Direktor Dr. Christian Bock.
METAS Direktor Dr. Christian Bock
„Das Institut ist heute das Kompetenz-Zentrum der Schweiz und nimmt die im Zusammenhang mit dem Messwesen und benachbarten Gebieten stehenden Aufgaben wahr. Somit steht der neue Zertifizierungsprozess selbstverständlich auch anderen Schweizer Uhrenherstellern offen. Er offeriert die Möglichkeit, Qualität und Leistung von Zeitmesser in einem größeren Zusammenhang als bisher darzustellen. Die METAS agiert dabei absolut unabhängig und frei. Und sie erklärt sich nur dann zur Mitwirkung an Projekten bereit, wenn sie überzeugt ist von deren Unparteilichkeit. Somit ist die Vereinbarung mit Omega keineswegs ‘exklusiv’ und offen für weitere Interessenten.“
Davon, dass nicht gemauschelt wird, können sich Uhrenfans eines Tages im Internet überzeugen. Dort will Omega life zeigen, wie in den Bieler Räumlichkeiten getestet und zertifiziert wird. Kunden können sich sogar mit der Seriennummer einloggen, und die genau erzielten Werte ihrer persönlichen Armbanduhr abrufen. Auch das ist in meinen Augen ein wichtiger Beitrag zur dringend gebotenen Transparenz.
Am Ende heißt es jedoch wie immer „Hic Rhodos, hic salta!“ Wenn die solcherart geprüften Uhren das Versprochene nicht halten, folgt die Strafe durch Verlust des guten Rufs auf dem Fuß. Und daran hat weder Nick Hayek noch das Omega-Management ernsthaftes Interesse.
Erste „Master Co-Axial METAS“ werden im Herbst 2015 auf den Markt gelangen.
Der Schriftzug Chronometer wird auf den neuen Master Co-Axial nicht mehr zu finden sein. Dafür findet sich irgendwo natürlich METAS
Auf meine Frage, ob sich die aufwändige Zertifizierung preislich niederschlägt, meinte Nick Hayek mit einem augenzwinkernden Seitenblick zu Raynald Aeschlimann, dem internationalen Verkaufsdirektor von Omega, das müsse man noch sehen. Aber natürlich ist es längst beschlossene Sache, dass sich die Preise nicht ändern werden. Immerhin verlangt ja auch die COSC ihren Obolus für die amtliche Prüfung der eingereichten Werke. Egal ob sie den Check bestehen oder nicht.
Mit diesem beherzten aber in meinen Augen dringend gebotenen Schritt erweitert sich der Kreis jener Manufakturen, welche in Sachen Zertifizierung ihre eigenen Wege beschreiten: Jaeger-LeCoultre, Montblanc, Patek Philippe tun das bereits. Und in Genf bahnt sich, wenn meine Informationen stimmen, noch etwas an, was die COSC eines Tages zu spüren bekommen könnte. Gemeint ist eine Art Genfer Siegel für Hersteller, die ihre Uhren nicht nach den strengen Vorgaben des Poinçon de Genève fertigen. Bekanntlich schreibt das neue Reglement des Timelab ja vor, dass Uhren mit dieser Qualitätspunze nach sieben aufeinanderfolgenden Tagen in unterschiedlichen Positionen nicht mehr als eine Minute von der Norm abweichen dürfen.
Angesichts wachsender Konkurrenz wird sich die COSC über kurz oder lang mehr oder minder stark bewegen müssen. Denn, um es im übertragenen Wortsinn mit Nick Hayek zu sagen: Wer aufhört besser zu werden, hat sich davon verabschiedet gut zu sein. „Innovation ist das Herz der Swatch Group. Wir ermutigen alle, uns zu folgen.“
Für die COSC, welche nun einen guten Kunden verliert, hat der Swatch Group CEO schlussendlich auch noch einen Trost parat: „Mido und Tissot werden ihre Uhren in steigenden Quantitäten weiterhin dort prüfen lassen.“
Mido All Dial Limited Edition 1918 mit COSC-Zertifikat
Tissot Concours Chronometrie 2013
Ich erlaube mir als Schlusswort dieser Ausführungen zu ergänzen: und so beweisen, dass die offiziell zertifizierte Ganggenauigkeit von Uhrwerken und der damit ausgestatteten Zeitmesser auch für Menschen mit kleineren Budget erschwinglich ist.