Nach dem Fall der Mauer im Jahr 1989 begann es sich im Osten Deutschlands überall mächtig zu regen. Aufbruchsstimmung beseelte auch das abgeschiedene Städtchen Glashütte. Einer der Ersten, die sich aus dem Westen ins im so genannten „Tal der Ahnungslosen“ begaben, war der Düsseldorfer EDV-Spezialist Roland Schwertner.
Roland Schwertner
Im Januar 1991 belebte er die ehemalige Piratenmarke „Nomos Glashütte SA.“ wieder belebte. Die Geburt des Namens geht zurück auf das Jahr 1906, Herrn Clemens Guido Müller und seinen Schwager Karl Nierbauer. Ihr Geschäftsprinzip basierte auf dem Import Schweizer Uhren und deren Vertrieb mit der imageträchtigen Zusatz-Signatur „Glashütte“. Das wiederum ließ sich A. Lange & Söhne nicht gefallen. Eine Klage endete 1910 mit einem Vergleich: Nomos durfte seinen Lagerbestand noch verkaufen. Danach hatte jeglicher Hinweis auf Glashütte zu unterbleiben, was das Aus bedeutete. Mit Problemen ähnlicher Art musste sich anfangs auch Roland Schwertner herumschlagen, der angeblich nichts von Uhren verstand, den aber die Nomos-Geschichte faszinierte. Der Versuch, es den einstigen Namensgebern gleich zu tun, also Schweizer Werke in Glashütte zu finissieren, einzuschalen und unter Signatur Nomos Glashütte SA zu verkaufen, zog ein heftiges Abwehrfeuer der großen Nachbarn nach sich. Der Mitbewerb bemühte die Gerichte und setzte ein Veräußerungsverbot durch, das Nomos an den Rand des Ruins trieb. Doch am Ende siegte Schwertner, weil er nachweisen konnte, dass mehr als 50 Prozent seiner Wertschöpfung in Glashütte erfolgt.
Für das von der Grafikdesignerin Suzy Günther
Suzy Günther
gestaltete Debütmodell „Tangente“
Nomos Tangente
brauchte Schwertner natürlich ein tickendes Innenleben. Nachdem im Müglitztal Passendes nicht zu bekommen war, begab sich
der ambitionierte Nomos-Inhaber auf Einkaufsreise in die Uhr-Schweiz. Fündig wurde er beim Rohwerkegiganten Eta, welcher 1985 in den Besitz des 1971 lancierten und vorübergehend eingestellten Peseux-Kalibers 7001 gelangt war. Zu diesem Zeitpunkt standen die Zähler für das 10½-linige Uhrwerk (Durchmesser 23,3 mm) mit ca. 44 Stunden Gangautonomie bereits bei mehr als 2,2 Millionen Exemplare. Das sprach zwar nicht für Exklusivität, dafür jedoch für Zuverlässigkeit. Mit gerade einmal 2,5 Millimetern Bauhöhe hielt es den Flachheits-Rekord im damaligen Mechanikspektrum der Eta. Dank kleiner Sekunde bei der „6” gewährleistete das 17-steinige, mit drei Hertz vergleichsweise langsam oszillierende Uhrwerk der Bauart „Savonnette” den für Retro-Modelle beinahe unverzichtbaren Nostalgie-Touch. Schwertner zeigte sich überzeugt und griff Anfang der neunziger Jahre zu.
Nomos Peseux 7001
Weil er sich mit dem auf Dauer jedoch nicht begnügen mochte, erhielt die aufgewertete Nomos-Version des 7001 unter der Bezeichnung 1 T beispielsweise matt vergoldete Platine, Brücken und Kloben. Die Schrauben drehte Nomos aus unvernickeltem Stahl. Anschließend wurden sie angliert, auf einer Zinnplatte planpoliert und teilweise blau angelassen. Weitere Merkmale waren ein Sonnenschliff auf Sperr- und Kronrad, eine „Triovis”-Feinregulierung und eine spezielle Zugfeder.
Kaliber Nomos 1 T mit Triovis Feinregulierung
Die Version 1 TS, zusammengefügt aus 99 Komponenten, verfügte über eine Stoppvorrichtung für die Unruh und damit auch den Sekundenzeiger.
Weitere Evolutionsstufen folgten nach und nach, und zwar
2001: 1 TSD mit digitalem Fensterdatum auf separater Kadratur
Kaliber Nomos 1 TSD mit Fensterdatum
2003: 1 TSP mit Glashütter Dreiviertelplatine, hergestellt in zwei Varianten. Befestigung des Kronrads mit einer zentralen oder -wie beim alten 7001, aber zwei Schrauben
Nomos Kaliber TSP, Kronrad mit einer Schraube zur Befestigung des Kronrads
1 TSDP bezeichnete das Kaliber TSP mit Fensterdatum
1 TSPG das Kaliber TSP mit Gangreserveanzeige und
1 TSDPG das Kaliber TSP mit Fensterdatum und Gangreserveanzeige
2004 brachte das Kaliber „1 TS Super 30“, welches neben einer individuellen Nummer erstmals den griechischen Buchstaben α (Alpha) auf der nun von Nomos selbst gefertigten Platine trug.
Nomos Kaliber TS Super 30 - trug erstmals das α (Alpha).
Ab 2005 gab es bei Nomos dann die richtige, nämlich bezogen auf das gesamte Gestell einschließlich der Glashütter Dreiviertelplatine in eigenen Werkstätten produzierte Version des α (Alpha).
Nomos α (Alpha).Rück- und Vorderseite
Im Zuge der Umstellung auf vertiefte Manufaktur mutierten
- das 1 TSDP zu β (Beta)
- das 1 TSPG zu γ (Gamma) und
- das 1 TSDPG = δ (Delta)
Von da an kletterte der Anteil an Fertigungstiefe an diesem Uhrwerk weiter. Beispielsweise produzierte Nomos auch Zahnräder selbst.
2014 beginnt bei Nomos eine gänzlich neue Ära. In dem während der Baselworld gezeigten Kaliber DUW 4401 (Deutsche Uhren Werke 4401) findet sich erstmal ein Nomos-eigenes Assortiment. Hinter diesem französischen Wort verbirgt sich das Schwing- und Hemmungssystem bestehend aus Ankerrad, Anker, Unruh und Unruhspirale.
Kaliber Nomos DUW 4401 mit eigenem “Swing”-System
Im Gespräch mit Uwe Ahrendt
wollte ich am Messestand natürlich näheres zur alles entscheidenden Unruhspirale wissen. Insbesondere interessiert die Herkunft des Rohmaterials. Bei den feinen Bändern kooperiert Nomos mit dem einschlägig erfahrenen Spezialisten Carl Haas, der die Geheimnisse um den Werkstoff Nivarox wegen der Partnerschaft mit Straumann seit Anbeginn kennt.
Die Weiterverarbeitung zu Fertigspiralen erfolgt, wie der CEO und Nomos-Anteilseigner betont, im eigenen Haus. „Mit diesem Schritt wollen wir uns zunehmend aus der Abhängigkeit von Lieferungen aus der Schweiz befreien, denn unser Kontingent ist eingefroren auf den Stand des Jahres 2010. Und dieser Zustand würde unser Wachstum deutlich beeinträchtigen.“ Will heißen: Nomos verfügt über die nötige Maschinerie zum Wickeln und Klassieren von Unruhspiralen und dem Matchen mit passenden Unruhn.
Rückseite des Kaliber DUW 4401 von Nomos
Blaue Nivarox-Spiralen, eine Haas-Spezialität, wird es dem bei Nomos aus gutem Grund nicht geben. Der Übergang vom Status quo ante ins neue Spiralen-Zeitalten wird aus nachvollziehbaren Gründen nur Schritt für Schritt vollzogen. Anhand der durchgängig silberfarbenen Spiralen kann somit selbst beim Blick durch die Lupe niemand erkennen, aus welcher Charge das Produkt stammt.
Das ganze Unternehmen hat sich Nomos, wie Uwe Ahrendt nicht ohne Stolz berichtet, einiges kosten lassen. Das Investment in eigene Assortiments belief sich auf mehr als elf Millionen Euro. „Als Partner haben wir uns die Technische Universität Dresden ins Boot geholt. Sieben lange Jahre hat es gedauert, bis das Thema Reglage mathematisch erfasst war und wir mit einer Serienproduktion beginnen konnten.“
Angesprochen auf die Fertigungstiefe nennt Uwe Ahrendt bei den tragenden Komponenten (Platinen, Brücken und Kloben) 100 Prozent. „Bei den Drehteilen erreichen wir teilweise 100 Prozent, aber teils arbeiten wir weiterhin auch mit bewährten Lieferanten zusammen. Alles in allem liegen wir inzwischen aber über der für uns wichtigen Schallmauer von 90 Prozent.“
Die neue Metro von Nomos, mit Hilfe des kleinen Stifts in der Bandschalufe lässt sich das Armband leicht wechseln
Das neue Handaufzugskaliber 4401 mit eigenem „Swing“-System, Fensterdatum und Gangreserveanzeige, ehemals δ (Delta), tickt in der „Metro Datum Gangreserve“ ohne manuellen Energienachschub 42 Stunden lang. Deren Stahlgehäuse misst moderate 37 Millimeter. Die Bauhöhe des Ganzen liegt bei 7,65 Millimeter. Und dem Druck von Wasser widersteht das Oeuvre mit Bandanstößen wie in lange zurückliegenden Zeiten bis drei bar.
Wer mit dieser auf den ersten Blick gar nicht typischen Nomos Metro reisen möchte, muss sich natürlich auch eine Fahrkarte kaufen. Die ist mit 2.600 Euro wohlfeil.